
Unser Entschluss steht fest. Unsere Radtour endet nicht schon in Orléans, sondern wir radeln weiter nach Paris. Zunächst über den Radweg "Canal d´Orleans" und später stoßen wir auf den "Scandibérique", dem Fernradweg, der Skandinavien mit Spanien verbindet und in Frankreich unter dem Namen "EuroVelo 3" bekannt ist.
Doch erst einmal nehmen wir uns Zeit, um Orléans zu entdecken.
Orléans - eine der ältesten Städte Frankreichs
Zwei Dinge machten Orléans einst berühmt. "Jeanne d`Arc" und die "Loire". Ohne Jeanne d'Arc, die berühmte Jungfrau von Orléans, die die Stadt am 8. Mai 1429 von den Engländern befreite, wäre Orléans nicht so bekannt wie heute. Letztendlich ereilte sie aber schon in sehr jungen Jahren das Schicksal der Verbrennung auf dem Scheiterhaufen. Heute gilt sie als Heldin und Schutzpatronin Frankreichs und ihr zu Ehren wird jährlich im Mai ein mehrtägiges Fest mit Umzügen in der Stadt gefeiert. Der Prachtboulevard und viele Häuser von Orléans waren bereits festlich mit Fahnen geschmückt. Wir waren leider einige Tage zu früh hier - es ist sicherlich ein grandioses Schauspiel und sehenswert.
Obwohl Orléans rund 350 Kilometer vom Atlantik entfernt liegt, war es die Loire, die der Stadt den großen Wohlstand bescherte. Vom Atlantik kommend wurden wertvolle Tuche, Stoffe und Köstlichkeiten über den Fluss nach Paris gebracht. Mit der Erfindung der Eisenbahn endete jedoch das goldene Zeitalter der Flussschifffahrt. Heute legen an den Ufern der Loire nur noch Ausflugsschiffe an und das ehemalige Hafenviertel wurde aufgewertet mit vielen Cafés, Restaurants und Grünflächen.
Orléans hat viele Gesichter. Die Altstadt ist weitgehend Fußgängerzone mit dem Wahrzeichen der Stadt, der imposanten Cathédrale Saint-Croix, die stark an Notre-Dame erinnert und an der gut 600 Jahre lang gebaut wurde. Auf der einen Seite wirkt die Stadt mit ihren prunkvollen Villen und imposanten Plätzen sehr mondän, aber auch sehr gemütlich, denn es gibt neben den Palästen auch viele kleine, charmante Fachwerkhäuser aus dem 14./15. Jahrhundert und es macht sehr viel Spass, durch die vielen Gassen zu schlendern.
Unterwegs am "Canal d´ Orléans"
Fast sind wir ein wenig traurig, die wirklich schöne Stadt verlassen zu müssen. Doch die Neugier auf weitere schöne Orte ist da und da sich auch das Wetter am Abreisetag von seiner schönen Seite zeigt, steigt zunehmend auch die Lust, wieder in die Pedale zu treten.
Und wir sind nicht die Einzigen, die bei diesem schönen Wetter unterwegs sind. Am Nordufer der Loire führt uns der "Quai du Roi" aus der Stadt hinaus. Am Quai ist Markt und zunächst müssen wir uns den Weg mit den vielen Marktbesuchern, Läufern und Spaziergängern teilen. Wir fahren ein wenig im Zickzack. Doch nach den ersten Kilometern ändert sich das Bild. Wir passieren den hübschen Ort Combleux. Niedrige und üppig mit Blumen bewachsene Häuser säumen die Straßen. Eine gewisse Romantik umgibt diesen schönen Radweg.
Der Kanal zieht sich endlos hin, ist aber nicht langweilig. Sobald wir die kleinen Ortschaften verlassen haben, sind wir meist alleine unterwegs. Fast lautlos radeln wir durch die Landschaft, oftmals nur von dem Geschnatter der Enten und Gänse begleitet. Wir tauchen ein in die Natur und sind weit weg von jeglicher Hektik. Grüntöne in allen Schattierungen wechseln sich ab. Und wenn dann noch der Himmel sein blau freigibt, ist der Moment perfekt.
Montargis - das Venedig des Gâtinais
Nach 89 Kilometern erreichen wir am frühen Abend Montargis, eine Kleinstadt mit 15.000 Einwohnern. Über 130 Brücken und Stege soll es hier geben. Wir zählen sie nicht, sondern genießen nach einem langen Radtag nur noch die letzten Sonnenstunden des Tages auf dem Marktplatz und freuen uns, dass wir Paris schon wieder ein Stück näher gekommen sind.
Der nächste Morgen beschert uns wieder blauen Himmel - somit beste Voraussetzungen für unsere Weiterfahrt entlang der Kanäle "Briare" und "Loing". Wieder einmal sind wir fast alleine unterwegs. In Nemours machen wir Halt, doch die Kleinstadt hat unseres Erachtens nicht wirklich viel zu bieten, das sich für einen längeren Stopp lohnt. Der Plan war, auch nur eine kurze Strecke von 40 Kilometern zu fahren, doch es kommt, wie es immer bei uns so kommt, anders. Was interessieren uns Pläne, die schon einige Minuten alt sind?
Wir treffen aber ein junges Pärchen, die uns den Tipp geben, sich ihre Heimatstadt Moret-sur-Loing anzuschauen. Empfehlungen nehmen wir gerne an und der Tipp erweist sich dann auch aus goldrichtig, auch wenn aus der beabsichtigten Tour von 40 Kilometern nun über 60 Kilometer werden.
Moret-sur-Loing - die Stadt der Impressionisten
Die kleine Stadt Moret-sur-Loing ist ein malerischer Ort, ehemals eine Königsresidenz am Ufer des Loing aus dem 12. Jahrhundert. Das historische Erbe der Stadt ist auch heute noch beim Gang durch die gepflasterten Gassen, an der Stadtmauer und an den Festungstoren spürbar. Der Ort zog schon damals viele Impressionisten an, die sich von den schönen Gebäuden und der Landschaft verzaubern ließen. Viele Besucher sind hier und haben es sich am Ufer des Loing und in den Cafés gemütlich gemacht. Der Ort zählt zu den drei schönsten Orten der Region Île-de France. Wir können den Eindruck nur bestätigen.
Wir entschließen uns, den Tag hier zu beenden und finden auch schnell einen Campingplatz. Von hier bis Fontainebleau, eines unserer Ziele am nächsten Tag, ist es nicht weit. Am nächsten Morgen führt der Weg kilometerweit durch den königlichen Wald bis Fontainebleau.
Schloss Fontainebleau
Das Chateau Fontainebleau ist seit 1981 UNESCO-Weltkulturerbe und das einzige Schloss, dass von allen französischen Königen und Kaisern bewohnt wurde. Napoleon hauchte dem Palast nach der französischen Revolution neues Leben ein, indem er es wieder komplett und prunkvoll möblieren ließ, bevor er 1814 an diesem Ort abdankte und verbannt wurde. In seinen Memoiren beschrieb er es als „wahre Heimstätte der Könige“.
Die Ausmaße der Anlage sind derart ausgeprägt, dass unser Weitwinkel nicht ausreichend ist. „Glanz und Gloria“ - diese Worte sind wahrlich noch untertrieben. Man könnte sicherlich einen Tag in den für die Öffentlichkeit zugänglichen Räumlichkeiten verbringen und hätte dennoch lediglich einen kleinen Teil gesehen. Mit mehr als 1.500 opulent ausgestatteten Zimmern in einer über 130 Hektar großen Parkanlage mit unterschiedlichen Themengärten gilt das Chateau Fontainebleau als eines der größten Schlösser Frankreichs und ist ein absoluter Besuchermagnet. Wir werden aber keine Innenbesichtigung vornehmen und stattdessen weiter durch die schöne Landschaft radeln.
Unterwegs auf dem "Scanderberique", dem französischen Teil des "EuroVelo 3"
Seit Montargis befinden wir uns auf dem Radfernwanderweg "Scanderberique", dem französischen Teil des EuroVelo 6.
Schon in Orléans und auch in Montargis hatten wir versucht, Kartenmaterial für diesen Radweg zu bekommen - leider vergeblich. Auch in den Touristeninformationen kennt man zwar den Radweg, doch der Weg ist noch nicht vollständig ausgebaut und die meisten Radfahrer sind Richtung Süden unterwegs, fahren also entgegengesetzt zu unserer Route. Aber auch ohne entsprechende Radkarte gibt es zumindest ausreichende Beschilderungen.
Die Route führt uns überwiegend entlang des Wassers, jedoch teils über noch sehr unbefestigte Strecken und Waldwege. Es ist keine ansprechende Strecke und mehrmals sind Abschnitte mit Eisenpollern versehen, damit weder Autos noch Motorrädern durchkommen. Aber das macht es auch für uns mit unseren Bikes und Gepäcktaschen schwer. An manchen Stellen ist kaum ein Durchkommen und wir müssen die Räder darüber hieven. Es macht wirklich keinen Spass. Irgendwann ist kein Durchkommen mehr, die Wege sehr schmal und uneben. Ich habe Angst, in den Fluss zu fallen. Ich gebe auf. Alles wieder zurück. Am Ende des Tages kommt dann noch, was kommen musste - die erste Reifenpanne, kurz vor Melun. Die vielen Wurzeln im Wald und Schotter auf der Strecke zollen ihren Tribut. Wir entschließen uns, zu Fuß in den nächsten Ort zu gehen und dort das Rad zu reparieren. Ein französischer Radfahrer bietet uns seine Hilfe an und und mit vereinten Kräften wird der Schaden dann doch vor Ort behoben. Wir können unsere Fahrt zum nahegelegenen Campingplatz fortsetzen. Dort lernen wir am Abend zwei Reisende aus Aachen, unserer Heimatstadt, kennen, die dort mit ihrem Wohnmobil kampieren. Klein ist doch die Welt. Bei einem Glas Wein unterhalten wir uns darüber, wer wen kennt, welche wunderbaren Reiseziele es doch gibt und dass man immer irgendwo nette Menschen kennenlernt.
Der nächste Tag bringt eine lange Etappe von über 80 Kilometern mit sich. Unser Ziel ist Champigny-sur-Marne. Dort gibt es einen Campingplatz mit guter Anbindung nach Paris für den nächsten Tag. Auf der Internetseite sind Zelte abgebildet. Bei Ankunft teilen sie uns aber mit, dass es überhaupt keinen Platz für Zelte gibt. Stattdessen bieten Sie uns ein Mobilhome an. Wir nehmen dankend an mit dem Gedanken, für 55 € pro Nacht ein Dach über dem Kopf zu haben. Im Nachhinein stellt sich heraus, es ist doch kein Mobilhome, sondern lediglich ein Schotterplatz ohne Strom, auf dem wir unser Zelt aufbauen sollten. Eine teure Angelegenheit für eine Zeltübernachtung, aber mangels Alternative und der Nähe zu Paris, sicherlich die beste Lösung.
Paris - die Stadt der Liebe
Kaum eine andere Stadt hat so viele berühmte Sehenswürdigkeiten und setzt diese so wundervoll in Szene. Nach 881 geradelten Kilometer stehen wir am Eiffelturm, wenn wir auch davon abgesehen haben, mit dem Fahrrad direkt dorthin zu radeln. Millionen von Touristen besuchen jährlich Paris und etwa sieben Millionen stehen jährlich in der Schlange, um auf den eisernen Turm zu steigen. Entgegen den sonstigen Gewohnheiten geht es aber für uns nicht in die Höhe, denn stundenlanges Anstehen, zusammen mit vielen Menschen, ist nichts für uns. Wir lassen uns statt dessen bei bestem Wetter durch die Stadt treiben, vorbei am Musée d'Orsay, dem Invalidendom, Gran Palais und Petit Palais, Champs-Elysée, schlendern an der Seine entlang und staunen, welche Besuchermassen sich am Louvre tummeln.
Der krönende Abschluss unserer Sightseeing-Tour war aber der Besuch der Kathedrale Notre-Dame. Man hat noch die Bilder des zerstörerischen Feuers im Kopf und sieht nun das Ergebnis der Restaurierung: eine hell erstrahlte und imposante Kirche, die für alle Besucher offen stand. Das hat uns sehr beeindruckt.
Es kam, wie es kommen musste. Paris war dann doch noch nicht das Ende unserer Radtour. Einmal unterwegs, beschlossen wir, unsere alte Heimatstadt und die Familie in Aachen zu besuchen. Bei strahlendem Sonnenschein geht es von Paris nach Senlis, 75 Kilometer entfernt, das wir über Nebenstraßen erreichten.
Die mittelalterliche Stadt Senlis
Die Altstadt von Senlis mit ihren Stadtpalästen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, den Fachwerk - und Feldsteinhäusern steht vollständig unter Denkmalschutz und zeugt noch heute von der Historie der Stadt. Die kopfsteingepflasterten Straßen und Gassen tragen Namen wie Küfer-Straße, Gerber-Straße oder Wein-Straße und weisen auf die Berufe ihrer mittelalterlichen Bewohner hin. Mehrmals jährlich dient die hübsche Stadt als Film- und Fernsehkulisse. Jetzt werden wir bei französischen Produktionen darauf achten, ob uns etwas bekannt vorkommt.
Von Senlis ging es für uns weiter durch Parkanlagen am Wasser entlang über Comupiénge nach Maubeuge. Obwohl wir noch in Frankreich sind, ist schon der belgische Einfluss zu spüren. Die Stadt selbst hat keine herausragenden Sehenswürdigkeiten und wir genießen es, einfach nur auf dem Marktplatz zu sitzen und die Leute zu beobachten. Der nächste Tag führt uns weiter am Fluss entlang auf dem EuroVelo über die Grenze nach Belgien bis Charleroi. Geplant war ein kurzer Aufenthalt und Besichtigung der Stadt. Doch das Wetter schlägt um und es regnet in Strömen. Kurzerhand beschließen wir, unsere Radtour in dieser Stadt zu beenden, in den Zug zu steigen und unsere Familie in Aachen zu überraschen.
Und wer wissen will, was es in unserer Heimatstadt Aachen alles zu sehen gibt? Auch hierzu gibt es einen Bericht. Den findet ihr hier:

Frankreich hat uns sehr überrascht. Positiv. Die Menschen sind überaus freundlich und offen. Ob es die Zugbegleiterin war, die uns beim Einstieg in den Zug behilflich war; die Frau, die extra mit ihrem Auto hinter uns hergefahren ist, um uns vor einer gefährlichen Strecke zu warnen; der Radfahrer, der mit uns den Reifen gewechselt hat und auch die Verkäuferin, die trotz Mittagspause ihr Geschäft für uns aufschließen wollte. Das sind nur Einige der zahlreichen freundlichen Menschen, die uns auf dieser Tour begegnet sind.
Eine kleine, mehrtägige Tour sollte es sein. Doch daraus wurden 1.034 Kilometer, die wir gestrampelt sind. Dabei ging es gar nicht darum, Kilometer um Kilometer zurückzulegen und aufzuzeichnen, wie schnell man wo gewesen ist. Unser Ansporn ist mehr die Neugier auf Unbekanntes, auf andere Menschen, Kulturen und Kunst. Wir lieben es, Neues zu entdecken und "Bilder zu sammeln".
Und spätestens dann, wenn wir wieder zuhause sind, denken wir daran, was wir uns noch alles anschauen könnten. Es gibt noch so viel Schönes zu sehen und zu erleben. Wir sind gerne dabei.
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